Reiner Wein Gast Prof. Heinz-J. Bontrup

Einordnung: Gute Arbeit und das Diktat des Mehrwerts

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Lesezeit:4 Minute, 49 Sekunde

Gast bei „Reiner Wein Spezial“ ist der Wirtschaftswissenschaftler Prof. Dr. Heinz-Josef Bontrup. Gesprochen wird über das Wesentliche: die Ökonomie und die Bedeutung der menschlichen Arbeit. Nur sie schafft Werte. Es gibt kein Unternehmen ohne Menschen – sie sind es, die die Maschinen bewegen.

Gute Arbeit und das Diktat des Mehrwerts – Prof. Heinz-Josef Bontrup | Reiner Wein Interview (Quelle: Idealism Prevails/YouTube)

Die Entwirrung der Begriffe

Dass die Wichtigkeit der erwerbsabhängig Beschäftigten in der Fremd- und vor allem Selbstwahrnehmung durch die Verdrehung der Begrifflichkeiten geschwächt wurde, ist ein kleines Detail im großen Puzzle. Ein Beispiel: Unternehmer werden heute als „Arbeitgeber“ etikettiert. Das ist blanker Unsinn.

Jeder Unternehmer benötigt menschliche Arbeitskraft – ohne sie kann weder eine Dienstleistung erbracht noch irgendetwas produziert werden. Der Unternehmer ist also ein Arbeitskraftnehmer. Ihm steht der Lohnabhängige gegenüber, der am Arbeitsmarkt seine Arbeitskraft anbietet und folglich ein Arbeitskraftgeber ist. Ohne ihn läuft nichts, auch kein Unternehmen und schon gar nicht die Wirtschaft – so einfach ist das. Um ihre Forderungen gegenüber den Unternehmern durchzusetzen, ist der Streik das stärkste Argument der Erwerbsarbeiter.

Wo ist die gute Arbeit?

Das Bild der Arbeit hat sich gewandelt. Die Landwirtschaft spielt in der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung nur noch eine Nebenrolle, der mit Öl verschmierte Industriearbeiter ist fast verschwunden, mehr und mehr Menschen sind im Dienstleistungsbereich, dem tertiären Sektor tätig. Dramatisch verändert hat sich aber vor allem die Verteilung von Erwerbsarbeit. Massenhafte Erwerbsarbeitslosigkeit, ausufernder Niedriglohnsektor und eine grassierende Unterbeschäftigung werfen einen bedrohlichen Schatten auf die Gesellschaft. Dass so etwas wie Vollbeschäftigung herrsche, sei eine reine Mystifikation. „Deutschland ist Lichtjahre davon entfernt“, sagt Prof. Heinz-J. Bontrup.

Die Zahl der Erwerbsarbeitslosen wurde in den letzten Jahrzehnten durch Teilzeitarbeit reduziert. Dies geschah allerdings zu dem Preis, dass viele Menschen von dieser Art Jobs kaum oder gar nicht leben können. Jeder fünfte abhängig Beschäftigte muss mit einem Bruttolohn von 11 Euro pro Stunde über die Runden kommen. Wenn diese Erwerbsarbeiter in Rente gehen, schlittern sie in eine (in Summe) gigantische Altersarmut.

Gunther Sosna, Gastgeber, Reiner Wein Politischer Podcast aus Wien

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Die erste große Phase von Massenerwerbsarbeitslosigkeit nach dem Zweiten Weltkrieg traf Deutschland 1974/75 – und davon habe man sich seitdem nicht mehr erholt. Politik und Wirtschaft hätten auf ganzer Linie versagt, meint Bontrup. Warum?

Hohe Erwerbsarbeitslosigkeit sei reine Ressourcenverschwendung, allein schon deshalb, weil durch die Alimentierung hohe Kosten anfallen bei gleichzeitig geringeren Steuereinnahmen. Diese fiskalischen Kosten der Erwerbsarbeitslosigkeit liegen pro Jahr bei 40 bis 45 Milliarden Euro. Sie sind damit größer als die jährliche Staatsverschuldung. Ohne diese Kosten hätte Deutschland seit Mitte der 1970er-Jahre einen fiskalischen Überschuss erwirtschaftet.

Zum Diktat des Mehrwerts

1845 beschrieb Friedrich Engels, der selbst Unternehmer in der Textilindustrie war, in seinem Werk „Die Lage der arbeitenden Klasse in England“ die Zustände und das Elend im englischen Industriekapitalismus. Ein paar Jahrzehnte früher, etwa mit der Französischen Revolution, die das Ende der Feudalherrschaft und den Beginn des modernen Kapitalismus markiert, wurde der Lohnarbeiter geboren: Die Knechtschaft unter den Feudalherren wurde durch die Knechtschaft unter den Kapitalisten ersetzt.

Heinz-J. Bontrup empfiehlt, „Das Kapital“ von Karl Marx zu lesen und insbesondere das „Kommunistische Manifest“ und sich mit dem Inhalt intensiv auseinanderzusetzen. Marx und Engels finden überraschenderweise eingangs lobende Worte für den Kapitalismus, da dieser die Produktivkräfte so stark entwickelte wie keine andere ökonomische Ordnung zuvor. Doch diese basiert auf der Ausbeutung des lohnabhängigen Arbeiters, der allein den Mehrwert schafft.

Einkommen setzt sich gesamtgesellschaftlich betrachtet aus vier Teilen zusammen: dem Lohn für die Arbeitskraft, dem Zins, der Pacht und dem Profit. Die letzten drei Einkommensarten sind der sogenannte Mehrwert; derjenige, der ihn erhält, muss – im Gegensatz zum Lohnarbeiter – nicht selbst dafür arbeiten. Somit ist der Einzige, der Mehrwert schaffen kann, der abhängig Beschäftigte.

Prof. Bontrup merkt allerdings kritisch an, dass es im heutigen Kapitalismus nicht unüblich sei, dass Menschen Einkünfte aus mehreren der vier Einkommensarten erzielen würden. Und auch Vorstände und Geschäftsführer seien eine Art Lohnarbeiter – ganz im Gegensatz zu den Eigentümern eines Unternehmens. Sie arbeiten nicht und schaffen folglich auch keine Werte.

Laut Marx macht es keinen Sinn, den Kapitalismus zu individualisieren, da auch der Unternehmer gefangen ist im System, das insgesamt überwunden werden muss. Daher hält Bontrup das Moralisieren über hohe Vorstandsgehälter für überflüssig, weil ein Vorstand lediglich die Rolle des Kapitalisten übernehme, der sich anderweitig beschäftigen will und nur an der Profitrate interessiert ist. Die wird oft genug vordefiniert. Menschliche Arbeitskraft wird dadurch quasi zu einer Restgröße – Löhne und Gehälter werden entsprechend gedrückt, um die Profitrate zu erreichen. Die liegt beispielsweise in Industrieunternehmen durchschnittliche bei etwa 20 Prozent pro Jahr; der arbeitende Mensch sieht davon keinen Cent. Im Dienstleistungssektor fällt die Profitrate wesentlich niedriger aus, sodass dort billigste menschliche Arbeitskraft benötigt wird – mit katastrophalen Folgen …

Über unseren Gast

Reiner Wein Politischer Podcast Gast Prof. Heinz-J. Bontrup

Prof. Dr. Heinz-Josef Bontrup (Jahrgang 1954) ist Wirtschaftswissenschaftler und Publizist. Er hat über 50 Bücher veröffentlicht, darunter Titel wie zum Beispiel „Arbeit, Kapital und Staat. Plädoyer für eine demokratische Wirtschaft“ oder „Wirtschaftsdemokratie. Alternative zum Shareholder-Kapitalismus“, in denen Aspekte des global herrschenden ökonomischen Systems einer kritischen Analyse unterzogen werden. Prof. Bontrup, der für sein Engagement mit dem Bundesverdienstkreuz am Bande ausgezeichnet wurde, tritt für eine radikale Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohn- und Personalausgleich ein, um wieder mehr soziale Gerechtigkeit herzustellen und eine der Hauptquellen der Finanzspekulationen und Finanzkrisen auszutrocknen. Deren Ursache ist in den stark gesunkenen Lohnquoten der letzten Jahrzehnte zu finden. Prof. Bontrup ist Mitverfasser und Herausgeber der jährlichen Memoranden der Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik und deren Sprecher. Außerdem veröffentlicht er regelmäßig Gastbeiträge in der Frankfurter Rundschau. 2019 hielt er an der Westfälischen Hochschule eine vielbeachtete Abschiedsvorlesung.

Fotos und Video: Reiner Wein, Idealism Previals und Heinz-J. Bontrup

Über den Autor

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Redaktion von "Reiner Wein", dem politischen Podcast aus Wien.
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